Das Bildungsprojekt foodture an der
Stadtteilschule Wilhelmsburg Hamburg

Schüler*innen und Lehrer*innen tauschen ihre Rollen

Am 27. Januar 2020 fand die erste Fortbildung für Lehrer*innen – konzipiert und umgesetzt von Schüler*innen – an der Stadtteilschule Wilhelmsburg in Hamburg statt. Inhalt der freiwilligen Fortbildung am Nachmittag waren die Zukunftsthemen Nachhaltigkeit und Klimawandel mit Blick auf eine Ernährung der Zukunft.

Das Fortbildungskonzept wurde inhaltlich und methodisch von Schüler*innen der 8. und 9. Klassenstufe entwickelt. Vorbereitet und ausgearbeitet wurde das Ganze von den Schüler*innen im Rahmen unserer zweitägigen foodture-Workshops durch BildungsCent e.V.
Unterstützung erhielten die Schüler*innen und wir von Teach First-Fellow Janine Schwarzenberg, die die gesamte Projektumsetzung von foodture in der Schule begleitete.

Wir fragten Janine Schwarzenberg im Anschluss, was sie von ihren Schüler*innen bei foodture gelernt hat: „Zusammen sind wir richtig stark. Alle Schüler*innen haben ein Stück Verantwortung übernommen, gemeinsam die Lehrkräfte fortgebildet und zum Nachdenken angeregt. Meine Schüler*innen haben mir gezeigt, dass sie ein großes Potential haben.“

Die Fortbildung

Schüler*innen fragen: „Haben Sie das Gefühl, dass unsere Schule nachhaltig ist?“

Nach einer kurzen Begrüßung und Einführung durch die Schüler*innen, was die teilnehmenden Lehrer*innen in den nächsten zwei Stunden erwartet, kam sofort Bewegung in die Fortbildung – die die Schüler*innen selbständig leiteten.

Die Schüler*innen hatten Fragen vorbereitet, zu denen sich die Lehrer*innen im Raum positionieren sollten: Ja oder nein? Trifft das für mich zu oder trifft das für mich nicht zu?

„Wissen Sie, was Nachhaltigkeit bedeutet?“

„Haben Sie das Gefühl, dass unsere Schule nachhaltig ist?“

„Ernähren Sie sich nachhaltig?“

„Haben Sie schon mal Insekten gegessen?“

„Ernähren Sie sich gesund?“

Es war viel Bewegung im Raum und die Schüler*innen hakten bei jeder Frage nach, warum sich die einzelnen Teilnehmenden zu „Ja“ oder „Nein“ positioniert hatten. Es entstand ein angeregter Austausch zwischen den Lehrer*innen und Schüler*innen. Und auch die Kolleg*innen erfuhren so die eine oder andere Neuigkeit voneinander – oder was die Schule bereits alles in Sachen Nachhaltigkeit unternimmt.

„Das sind dann Sommer, auf die sich keiner mehr freut!“

Weiter ging es mit einem Input der Schüler*innen in Form einer vorbereiteten Präsentation. Behandelt wurden die Themen Nachhaltigkeit, Klimawandel und Ernährung der Zukunft. Verbunden waren die Themen mit der Frage, wo unser Essen eigentlich herkommt und welche Konzepte es in Zukunft gibt, wenn immer mehr Menschen auf der Erde leben und der Klimawandel sich weiter auf die Landwirtschaft auswirkt.

Die globale Erderwärmung – ein Thema, das oft nur abstrakt vermittelt wird – brachte ein Schüler in direkten Zusammenhang mit der eigenen Lebenswelt: „Das sind dann Sommer, auf die sich keiner mehr freut! Sie sind einfach nur ekelhaft heiß.“

Gruppenarbeit der Lehrer*innen

Nach einer kurzen Pause waren die Lehrer*innen gefragt. Sie erhielten von den Schüler*innen vorbereitete Gruppenaufgaben, anhand derer sie einzelne Aspekte vertieften. Bearbeitet wurden die Themen „Ernährung mit Zukunft“, „Vertical farming“ und „(Plastik-)Verpackung von Essen“. Zur Information und Recherche hatten die Schüler*innen einzelne Karten aus dem foodture-Bildungsmaterial „Unser Essen und das Klima“  (PDF, 5 MB) ausgewählt.

Besonders viel Spaß hatte die Gruppe von Lehrer*innen um das Thema „Vertical Farming“, deren Aufgabe darin bestand, ein kleines Modell zu erstellen, das das Konzept der vertikalen Landwirtschaft veranschaulichte. Auf diese Weise wird der Anbau von Obst und Gemüse in mehrstöckigen Hochhäusern mitten in der Stadt ermöglicht.

Jede Lehrer*innen-Gruppe teilte im Anschluss ihr Wissen in einer kleinen Präsentation mit den anderen teilnehmenden Lehrkräften und Schüler*innen. Fragen und Unklarheiten konnten diskutiert werden. Die Schüler*innen schlüpften in die Rolle der Feedback-Gebenden. Sie reflektierten, was eine Präsentation für die Zuhörenden eigentlich interessant macht und worauf es zu achten gilt. So hoben die Schüler*innen zum Beispiel positiv hervor, wenn die Beteiligten einer Gruppe sich beim Sprechen abwechselten oder wenn das erarbeitete Thema auch visuell veranschaulicht wurde.

Der Rollentausch und Perspektivwechsel funktionierte für alle Beteiligten wunderbar. Aufkommende Fragen, wie zum Beispiel, wie gesund die Proteine von Insekten für Menschen nun wirklich sind, wurden zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen gemeinsam diskutiert.

Ideensammlung für eine nachhaltigere Schule

Um zum Abschluss der Fortbildung gemeinsam in die Zukunft zu blicken, sammelten die Lehrer*innen und Schüler*innen gemeinsam Ideen für eine nachhaltigere Schule.

Die Sammlung macht deutlich, dass es viele Ansatzpunkte in der Schule gibt, an denen nach der Fortbildung angesetzt werden könnte.

Hier beispielhaft einige der entstandenen Ideen 

  • Projektwoche zu Nachhaltigkeit zu den Themen Ernährung, Tiere, Kleidung, Plastik
  • Mehr Mülltonnen für Flaschen auf dem Schulhof
  • Kleidertausch in der Schule
  • Schulgarten zum Anbau von Obst und Gemüse
  • Wasserspender mit Trinkflaschen
  • Repair-Café
  • Begrenzung von Kopiermengen
  • Achten auf richtige Mülltrennung und Verringerung des Mülls
  • Expert*innen einladen
  • Umstellung des Ernährungsangebots in der Mensa – hin zu weniger tierischen Produkten
  • Nachhaltigkeits-AGs gründen

„Wir sind zusammen ins Gespräch gekommen.“

Nach einer intensiven Vorbereitung und der Premiere ihrer Fortbildung waren die Schüler*innen natürlich sehr gespannt und baten die teilnehmenden Lehrer*innen um ein Feedback: „Was hat Ihnen besonders gut gefallen?“ und „Was könnten wir das nächste Mal noch besser machen?“

Einige Stimmen der Lehrkräfte

„Das war das erste Mal, dass es eine Fortbildung von Schüler*innen für Lehrer*innen an der Stadtteilschule Wilhelmsburg Hamburg gab. Eine Premiere. Das sollte es öfters geben.“

„Es war super spannend. Wir sind zusammen ins Gespräch gekommen. Das war toll.“

„Die Zeit ist sehr schnell vergangen. Ich habe viel gelernt. Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt.“

„Es gab viel Aktivität. Das hat mir sehr gut gefallen.“

„Zum Teil konntet ihr die Übungen nicht vorbereiten, da ihr ja nicht wusstet, was von uns kommt. Das habt ihr toll moderiert!“

Der Weg zur Fortbildung

Am 13. und 14. Januar 2020 setzen wir von BildungsCent e.V. zwei Workshops mit Schüler*innen der Stadtteilschule Wilhelmsburg an dem außerschulischen Lernort – einem Projekt-Schiff – im Hamburger Spreehafen um. Wir trafen uns zwei Tage lang mit einer Gruppe von Schüler*innen aus der 8. Und 9. Klassenstufe, um die Fortbildung für die Lehrer*innen vorzubereiten und die Umsetzung zu planen. Zur Mittagszeit versorgten uns Schüler*innen der schuleigenen Kochgruppe an beiden Tagen mit einem leckeren Menü.

Inhaltlich beschäftigten wir uns einen Tag lang mit Fragen wie: „Was hat unser Essen mit dem Klima zu tun?“, „Wie könnte sich unsere Ernährung in Zukunft verändern?“, „Was bedeutet es, nachhaltig zu leben?“ und „Was hat das mit dem Leben von jeder*m Einzelnen zu tun?“

„Was bedeutet eigentlich Sonntagsbraten?“ – Ein Expert*innen-Gespräch

Unterstützung erhielten wir von der Expertin Maike Strietholt – sie ist freie Journalistin und im Bereich der globalen und politischen Bildung tätig, u. a. bei der Hamburger Organisation Agrar Koordination, die unser Projekt unterstützte.

In einem ca. einstündigen Gespräch diskutierte Maike Strietholt mit den Schüler*innen all die Fragen, die sie im Laufe des Workshops gesammelt hatten und die sie beschäftigten.
So fragte sich ein Schüler, warum es so schwierig sei, die Erderwärmung aufzuhalten, wenn die Menschen sonst doch so viel schaffen. Es wurde darüber gesprochen, was sich eigentlich hinter dem Begriff „Sonntagsbraten“ verbirgt, der bei den Schüler*innen keineswegs geläufig war und was eigentlich mit den Plastikverpackungen unserer Lebensmittel passiert.

Vom Handeln zum Wissen

Zum Abschluss des ersten Workshop-Tages setzten sich die Schüler*innen in Gruppen nochmals selbständig mit einzelnen Thema auseinander. Durch ein Voting wurden die Themen „Ernährung mit Zukunft“, „Lebensmittelverschwendung“, „Klimagase und Ernährung“ und „Essen und unsere Schule“ zur weiteren Einarbeitung ausgewählt.

Jede Schüler*innen-Gruppe startete mit einer kleinen Aktion – zum Beispiel dem Bau eines kleinen Modells zum „Vertical Farming“ oder der Planung eines nachhaltigen Schulfestes –, um sich von hier aus näher mit dem Thema zu beschäftigen.

In Präsentationen teilten die Schüler*innen dann ihr erarbeitetes Wissen untereinander.

Hintergründe und Anregungen lieferte das foodture-Bildungsmaterial „Unser Essen und das Klima“ (PDF, 5 MB), das mit fachlicher Begleitung aus dem Umweltbundesamt entstanden ist.

Das selbständige Arbeiten wurde von den Schüler*innen sehr positiv bewertet. So wurde am Ende des Workshops positiv hervorgehoben:
„Mir hat besonders gut gefallen, dass wir untereinander was machen mussten. Das war gut.“

Ein*e andere*r Schüler*in reflektierte: „Dass wir heute viel alleine gelernt haben.“

Wie konzipiere ich eine Fortbildung?

Am zweiten Tag mussten die Schüler*innen entscheiden, welche Inhalte des Vortages sie mit ihren Lehrer*innen teilen wollen.

Nach einem Rückblick auf den Vortag und einer Reflexion, was genau eigentlich Inhalte und was Methoden waren, wurde mithilfe eines strukturierten Zeitplans gemeinsam die Fortbildung für die Lehrer*innen geplant und konzipiert. Vorschläge und Ideen wurden diskutiert, Vor- und Nachteile verschiedener Methoden abgewogen und auf eine sinnvolle Reihenfolge einzelner Fortbildungs-Elemente geachtet. Ziel war es, dass sich alle Schüler*innen mit der erarbeiteten Konzeption wohlfühlten, um die Fortbildung als gemeinsames Team durchzuführen.
Alle Schüler*innen übernahmen am Ende in kleinen Gruppen mindestens ein Element der Fortbildung und bereiteten dieses gemeinsam inhaltlich und methodisch aus.

Nach einem langen und intensiven zweiten Workshop-Tag – der weit über einen normalen Schultag hinaus ging – gab es eine Generalprobe der selbst entwickelten Lehrer*innen-Fortbildung und eine gemeinsame Feedback-Runde.

Am Ende konnten alle stolz sein, was in so kurzer Zeit mit viel Engagement der Schüler*innen entstanden ist!

Die Teach First-Fellow Janine Schwarzenberg hielt fest: „Mich hat überrascht, dass die Gruppe sich selbst reguliert hat. Die Schüler*innen waren bunt zusammengewürfelt. Sie haben außerhalb ihres gewohnten Klassenverbands Regeln aufgestellt, durch die sie gut zusammenarbeiten können und jede*r sich wohlfühlt. So funktioniert Gesellschaft.“

Hier geht es zum eigenen Projektbericht auf der Schul-Homepage der Stadtteilschule Wilhelmsburg.